Europäisches Anlagenrecht: EuGH verfeinert Definition der Anlage (EuGH 29.4.2021, C-617/19 Granarolo)

  • 2021-05-10T09:54:00+02:00

Sowohl in der EmissionshandelsRL (RL 2003/87/EG) als auch der IndustrieemissionsRL (RL 2010/75/EU) findet sich die beinahe wortgleiche Definition einer Anlage. Nach Art. 3 lit. e EmissionshandelsRL ist eine Anlage eine ortsfeste technische Einheit, in der eine oder mehrere der in Anhang 1 genannten Tätigkeiten sowie andere unmittelbar damit verbundene Tätigkeiten durchgeführt werden, die mit den an diesem Standort durchgeführten Tätigkeiten in einem technischen Zusammenhang stehen und die Auswirkungen auf die Emissionen und die Umweltverschmutzung haben können. Eine beinahe gleichlautende Definition enthält Art. 3 Z 3 IndustrieemissionsRL für IPPC-Anlagen.

Bereits in einer früheren Entscheidung zur Anlagendefinition (EuGH 9.6.2016, C-158/15, EPZ, vgl. Artikel "EugH: Plädoyer für einen "engen" Anlagenbegriff" am Umweltrechtsblog vom 10.6.2016), die eben nicht nur für das Emissionshandelsrecht, sondern auch für die allgemeine Anlagendefinition der IndustrieemissionsRL von Bedeutung ist, hat der EuGH klargestellt, dass eine unmittelbare damit verbundene Tätigkeit nur dann vorliegt, wenn diese Tätigkeit unentbehrlich für die eigentliche – namentlich im Anhang genannte – Tätigkeit ist.

Im gegenständlichen Fall beurteilte der Europäische Gerichtshof nun eine KWK-Anlage, die Energie in eine der Lebensmittelherstellung dienende Produktionsstätte liefert, die selbst mit einem Wärmekraftwerk mit einer Gesamtfeuerungswärmeleistung von über 20 MW ausgestattet ist (Tätigkeit nach Anhang I der EmissionshandelsRL). Die KWK-Anlage, welche eine Gesamtfeuerungswärmeleistung von weniger als 20 MW aufweist, so dass sie für sich genommen nicht unter die vom Anhang erfassten Tätigkeiten fällt, wurde zuvor von der Betreiberin der Lebensmittelherstellungsanlage („Granarolo“) an ein im Energiebereich spezialisiertes Unternehmen verkauft und ein Energie- und Wärmelieferungsvertrag abgeschlossen. Granarolo beantragte in weiterer Folge, dass die CO2-Emissionen der KWK-Anlage nicht mehr ihrer Anlage zuzurechnen seien, da es sich nicht um eine Anlage handeln würde, was von der italienischen Behörde abgelehnt wurde.

Da die KWK-Anlage isoliert betrachtet nicht dem EmissionshandelsRL unterliegt, klärte der EuGH in einem ersten Schritt, ob die Anlage von Granarolo sowie die KWK-Anlage als eine Anlage im Sinne des Art. 3 lit. e EmissionshandelsRL anzusehen sind. Unter Bezugnahme auf die bereits erwähnte Vorjudikatur des EuGH, nach der sich eine Tätigkeit unmittelbar auf eine unter Anhang I dieser Richtlinie fallende Tätigkeit bezieht, wenn sie für ihre Ausübung unerlässlich ist und diese unmittelbare Verbindung zudem in der Existenz eines technischen Zusammenhangs unter Umständen zum Ausdruck kommt, unter denen die betreffende Tätigkeit mit der unter diesen Anhang I fallenden Tätigkeit in einen gemeinsamen technischen Ablauf integriert ist. Die KWK-Anlage könne daher nur dann eine unmittelbare Verbindung zum Wärmekraftwerk in der Produktionsanlage aufweisen, wenn die KWK-Anlage diesem Zweck dient, nicht aber wenn die KWK-Anlage der Lebensmittelproduktion dient (diese Tätigkeit unterliegt nicht dem Emissionshandelsrecht).

Zum anderen verlangt die Bedingung der Existenz eines technischen Zusammenhangs, in dem eine solche unmittelbare Verbindung zum Ausdruck kommt, dass die Verbindung zwischen den betreffenden Tätigkeiten zur Funktionsfähigkeit des gesamten technischen Ablaufs der unter Anhang I der Richtlinie 2003/87 fallenden Tätigkeit beiträgt. Maßgeblich war zudem für den Gerichtshof, dass die Produktionsstätte von Granarolo und das Wärmekraftwerk, das die für diese Produktion notwendige Wärme liefert, ihre Tätigkeit selbst dann ausüben könnte, wenn die Strom- und Wärmelieferung durch die KWK-Anlage unterbrochen wäre oder wenn die Tätigkeit diese Einheit in ihrem Betrieb gestört wäre oder eingestellt würde. Daraus folgerte der EuGH weiters, dass die Verbindung zwischen der KWK-Anlage und der Produktionsstätte nicht zur Funktionsfähigkeit des technischen Ablaufs der Tätigkeit in deren Wärmekraftwerk beiträgt, sodass die KWK-Anlage und das Wärmekraftwerk somit nicht als ein und dieselbe Anlage im Sinne der Definition des Art 3 lit. e EmissionshandelsRL angesehen werden können.  

Verallgemeinert man diesen Gedanken nun, lässt sich im Hinblick auf die Anlagendefinition der EmissionshandelsRL und der IndustrieemissionsRL ableiten, dass ein Anlagenteil, in dem eine spezifische in den Anhängen der genannten Richtlinien genannte Tätigkeit nicht ausgeübt wird, nur dann einer in den Anhängen der Richtlinien genannten Tätigkeit (zB Herstellung von Zementklinkern, Schmelzen mineralischer Stoffe), zugerechnet werden kann, wenn dieser Anlagenteil technisch unentbehrlich ist, um die spezifische Tätigkeit auszuführen. Oder anders formuliert: Es ist für die Zurechnung eines Anlagenteils zur eigentlichen IPPC- oder Emissionshandelstätigkeit danach zu fragen, ob diese Tätigkeiten ausgeführt werden könnten, wenn die in Frage stehenden Anlagenteile nicht betrieben werden. Liegt kein derartiger verfahrenstechnischer Zusammenhang vor, ist keine Zurechnung vorzunehmen. Die bloße Existenz einer Verbindung, wie sie bei jeder Industrietätigkeit vorliegt, ist nach dem EuGH nicht von Bedeutung für die unmittelbare Verbindung im Sinne der Anlagendefinition. Zudem muss dieser Zusammenhang auch ein direkter sein. Ein bloß mittelbarer Zusammenhang zwischen der zuzurechnenden Tätigkeit und der IPPC- oder Emissionshandelstätigkeit über einen Anlagenteil, in der ebenfalls keine der zuletzt genannten Tätigkeiten ausgeführt wird, reicht für diese Verbindung ebenfalls nicht aus. 

Zudem sah der EuGH in der Eigentumsübertragung und vertraglichen Ausgestaltung zwischen dem Lebensmittelhersteller Granarolo und dem Energieunternehmen keine Umgehung der Vorschriften des Emissionshandels. Auch käme im gegenständlichen Fall die Zusammenrechnungsregel nicht zur Anwendung, da es sich nicht um eine, sondern eben um zwei separate Anlagen handeln würde. Bei den Erwägungen des Gerichtshofs hat dabei auch eine Rolle gespielt, dass die Produktionsstätte nach wie vor vom Emissionshandel betroffen ist und Granarolo keinen Einfluss mehr auf die KWK-Anlage hatte. In dieser Art der Ausgestaltung sei auch keine missbräuchliche Praktik zu sehen.

David Suchanek, Wien

 

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