Der EuGH hat in seiner aktuellen Entscheidung vom 10. November 2020 (Rechtssache C 644/18) eine potenziell richtungsweisende Erkenntnis zur Thematik der Luftverschmutzung getroffen, in dem er sich im vorliegenden Fall mit der Qualifikation von Grenzwertüberschreitungen und der Geeignetheit von erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der solchen auseinandersetzt.
Die Ausgangslage im vorliegenden Fall war dabei jene, dass die Europäische Kommission 2018 eine Vertragsverletzungsklage gegen die Italienische Republik erhoben hat, da Italien im Zeitraum von 2008 bis 2017 eine systematische und andauernde Überschreitung der in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/50/EG („Luftqualität“ Richtlinie) in Verbindung mit deren Anhang XI festgelegten Tages-und Jahresgrenzwerte für die Konzentrationen von PM10 (Feinstaub) - Partikeln begangen habe. Außerdem habe Italien gegen seine Verpflichtung nach Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie in Verbindung mit Anhang CV verstoßen, indem keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden, um die Einhaltung zu gewährleisten.
Der Gerichtshof hat nun in seinem am 10. November 2020 verkündeten Urteil dieser Klage stattgegeben.
Er stellt dabei fest, dass die Überschreitung der Grenzwerte für PM10-Partikel für sich genommen ausreicht, um einen Verstoß gegen die genannten Bestimmungen der Richtlinie „Luftqualität“ festzustellen.
Im konkreten Fall seien die Tages- und Jahresgrenzwerte für PM10-Partikel in den betreffenden Gebieten mit großer Regelmäßigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg überschritten worden.
Die Tatsache, dass in bestimmten Jahren des Zeitraums die Grenzwerte nicht überschritte wurden, steht der Feststellung eines systematischen und andauernden Verstoßes nicht entgegen.
Wie nämlich aus der Definition von „Grenzwert“ in der Richtlinie hervorgeht, muss dieser, um schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und/oder die Umwelt insgesamt zu vermeiden, zu verhüten oder zu verringern, innerhalb eines bestimmten Zeitraums erreicht werden und darf danach nicht überschritten werden. Auch ist es dabei unerheblich, ob der Mitgliedstaat die Überschreitung mit Absicht oder fahrlässig begangen hat oder ob sie auf aufgetretenen technischen oder strukturellen Schwierigkeiten beruht, außer dies beruht auf außergewöhnliche Umstände die sich nicht hätten vermeiden lassen. Die Argumente, dass Italien einige Quellen nicht zuzurechnen seien und die Überschreitung nur auf begrenzten Gebieten stattgefunden habe, sind laut dem Gerichtshof daher nicht ausreichend.
Auch stellt der Gerichtshof fest, dass nicht rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen ergriffen wurden, um mittels eines Luftqualitätsplans den Zeitraum der Nichteinhaltung der Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.
Die vorgelegten Maßnahmen Italiens seien unzureichend, da diese eine Verwirklichungsdauer für die Luftqualitätsziele vorsehen, die sich über mehrere Jahre, teils sogar auf zwei Jahrzehnte nach Inkrafttreten der Grenzwerte erstrecken.
Das Argument, dass diese Dauer aufgrund von Interessenabwägungen zwischen öffentlichen und privaten Interessen nötig sei, wird mit der Unvereinbarkeit der mit der Richtlinie verfolgten Ziele des Schutzes der menschlichen Gesundheit und der Umwelt abgewiesen.
Durch diese Feststellungen des Gerichtshofes im Hinblick auf die Qualifikation der Überschreitung des Grenzwertes und der Zurechenbarkeit der Faktoren unabhängig von der Ursache der Entstehung der Quellen sowie den Anforderungen an Luftqualitätsplan kann das Urteil für weitere anstehende richtungsweisend sein. Es sind nämlich auch noch gegen andere Staaten, wie zum Beispiel Deutschland, Vertragsverletzungsverfahren zu einer ähnlichen Thematik anhängig. Bei diesen geht es zwar nicht ausschließlich um PM10-Partikel, sondern auch um die Luftverunreinigung mit Stickstoffdioxid, das dabei im Wesentlichen aus Straßenverkehr und Industrie stammt.
Manuel Ruiß, Wien
Beiträge wie diesen finden Sie auch am Umweltrechtblog